Fermentierte Wolle ist des Rätsels Lösung

Das Foto zeigt zwei Fasern des Teppichs mit roten Farbpigmenten.
Vorbereitet für die Untersuchung mit dem Röntgenfluoreszenzmikroskop: Fasern des historischen Pazyryk-Teppichs, eingebettet in Epoxidharz (links). Zum Vergleich auf dem rechten Bild: selbst fermentierte und gefärbte Standardproben. (Bild: FAU/Dr. Andreas Späth)

FAU-Forscher entschlüsseln das Geheimnis des berühmten Pazyryk-Teppichs

Warum leuchten die Farben des ältesten geknüpften Teppichs der Welt nach fast zweieinhalb Tausend Jahren noch äußerst brillant in rot, gelb und blau? Dieses Geheimnis des so genannten Pazyryk-Teppichs konnten Prof. Dr. Rainer Fink und Dr. Andreas Späth nun durch hochauflösende Röntgenfluoreszenzmikroskopie entschlüsseln. Die Ergebnisse haben Sie in Scientific Reports publiziert.

Der Pazyryk-Teppich gilt als der älteste bekannte Teppich der Welt in Knüpftechnik und ist im Eremitage-Museum im russischen St. Petersburg zu sehen. Der Teppich, der um 400 vor Christus aus Schurwolle hergestellt wurde, ist eines der spannendsten Beispiele eisenzeitlicher zentralasiatischer Handwerkskunst. Russische Archäologen entdeckten ihn 1947 in einem Kurgan-Grab im Altai-Gebirge. Seitdem rätseln Expertinnen und Experten für traditionelle Färbetechniken über die leuchtende rote, gelbe und blaue Farbe des Teppichs, der fast zweieinhalb Jahrtausende unter rauen Bedingungen vergraben war.

Rote Fasern unter dem Mikroskop

Diesem Geheimnis sind nun Prof. Dr. Karl Meßlinger vom Institut für Physiologie und Pathophysiologie der FAU und die Röntgenmikroskopie-Experten Dr. Andreas Späth und Prof. Dr. Rainer Fink vom Lehrstuhl für Physikalische Chemie II der FAU auf die Spur gekommen. Gemeinsam schlugen sie vor, die Verteilung von Pigmenten entlang des Querschnitts einzelner Wollfasern mittels hochauflösender Röntgenfluoreszenzmikroskopie (µ-XRF) direkt abzubilden. Dr. Späth und Prof. Fink führten die Experimente am Paul-Scherrer-Institut im schweizerischen Villigen durch und nutzten das Röntgenmikroskop PHOENIX. Mit drei bis fünf Mikrometern bietet es eine ausreichende räumliche Auflösung, kombiniert mit einer hohen Empfindlichkeit für charakteristische chemische Elemente.

Die Fermentation von Schafwolle vor dem Färben führt zu einer erhöhten Brillanz und Langlebigkeit der Farbe. Fermentierte Wolle erkennt man an abstehenden Schuppenschichten oder an einer charakteristischen Verteilung der Pigmente entlang des Faserquerschnitts. Letztere ist in den abgebildeten Röntgenfluoreszenzbildern zu sehen (links). Bei den Pazyryk-Fasern ist die Schuppenschicht abgefallen (rechts). Der Einfluss der Fermentation kann aber noch durch den Vergleich der Fluoreszenzbilder (unten) mit denen von rezenten Standards nachgewiesen werden. (Bild: FAU/Dr. Andreas Späth)
Die Fermentation von Schafwolle vor dem Färben führt zu einer erhöhten Brillanz und Langlebigkeit der Farbe. Fermentierte Wolle erkennt man an abstehenden Schuppenschichten oder an einer charakteristischen Verteilung der Pigmente entlang des Faserquerschnitts. Letztere ist in den abgebildeten Röntgenfluoreszenzbildern zu sehen (links). Bei den Pazyryk-Fasern ist die Schuppenschicht abgefallen (rechts). Der Einfluss der Fermentation kann aber noch durch den Vergleich der Fluoreszenzbilder (unten) mit denen von rezenten Standards nachgewiesen werden. (Bild: FAU/Dr. Andreas Späth)

Die Studie konzentrierte sich hauptsächlich auf rote Wollfasern, da das Pigment Türkischrot in Zentralasien und im Nahen Osten seit Jahrhunderten nahezu ausschließlich verwendet wird, um einen charakteristischen roten Farbton zu erzielen. Türkischrot ist ein metallorganischer Komplex aus Alizarin, das aus den Wurzeln des Färberkrapps gewonnen wird, und Aluminium. „Die µ-XRF-Bildgebung zeigt eine charakteristische Verteilung des Aluminiums entlang des Querschnitts von fermentierten Wollfasern“, erklärt Dr. Andreas Späth. „Das gleiche Muster haben wir nun in Fasern aus dem Pazyryk-Teppich gefunden.“ Dies ist der mit Abstand früheste Nachweis der Fermentationstechnik und gibt Einblicke in die bereits hoch entwickelten Techniken der eisenzeitlichen Textilhandwerkerinnen und -handwerker. Die Ergebnisse zeigen auch das hohe Potenzial der Röntgenmikroskopie für die analytische Untersuchung archäologischer Textilproben. Bisher setzte die Forschung in diesem Bereich auf Rasterelektornenmikroskopie (REM).

Fermentierte Wolle bleicht nicht aus

Schon vor 30 Jahren – im Jahr 1991 – erhielt Prof. Dr. Karl Meßlinger einige Knoten des Pazyryk-Teppichs für eine Analyse mit dem Rasterelektronenmikroskop. Zusammen mit Dr. Manfred Bieber, einem Experten für orientalische Textilfärbetechniken, hatte er zuvor herausgefunden, dass die REM-Bildgebung Wollfasern identifizieren kann, die mit einer speziellen Färbetechnik behandelt wurden, die auf einer vorherigen Fermentierung der Wolle beruht. Der Fermentationsprozess erhöht die Diffusion der Färbepigmente zum Zentrum der Wollfasern, was zu deutlich brillanteren und beständigeren Farben führt. Fermentierte Wolle ist in der REM-Aufnahme an einem charakteristischen Aufstellen der äußersten Schuppenschicht zu erkennen. „Das traditionelle anatolische Textilhandwerk kennt jedoch eine kostengünstigere Technik, die aber trotzdem zuverlässig ist“, weiß Meßlinger. „Sie setzen die gefärbte Wolle mehrere Wochen lang auf einer Weide direkter Sonneneinstrahlung aus, stellen sie in einer Scheune den Tieren als Bodenbedeckung zur Verfügung und waschen sie abschließend in einem fließenden Gewässer aus. Nur fermentierte Wolle zeigt dabei kein nennenswertes Ausbleichen.“

Diese traditionelle Fermentationstechnik konnten Prof. Meßlinger und Dr. Bieber bis ins 17. Jahrhundert zurückverfolgen. Doch je intensiver das jeweilige Textil genutzt oder der Witterung ausgesetzt wurde, desto weniger blieb von den Schuppenschichten übrig. Auch beim weltberühmten Pazyryk-Teppich war die Schuppenschicht weitgehend abgefallen. Den Einfluss der Fermentation konnten die Wissenschaftler aber nun durch den Vergleich der Fluoreszenzbilder mit denen von selbst fermentierten und gefärbten Standardproben nachweisen.

Weitere Informationen:

Dr. Andreas Späth
Lehrstuhl für Physikalische Chemie II
Tel.: 09131/85-20944
andreas.spaeth@fau.de

Prof. Dr. Rainer Fink
Lehrstuhl für Physikalische Chemie II
Tel.: 09131/85-27322
rainer.fink@fau.de