Walther Jaenicke
Prof. Dr. Walther Jaenicke
Nachruf
Walther Jaenicke wurde am 28. Februar 1921 in Berlin geboren als Sohn des Chemikers Johannes Jaenicke.
Er begann 1938 in Gießen mit dem Studium der Chemie und Physik, wechselte aber im WS 1939 nach Leipzig, wo er u.a. Vorlesungsassistent bei dem Chemiker H. Kautsky (Kautsky-Effekt) war. Er hörte Vorlesungen von F.Hund, die, wie er seinen Doktoranden oft erzählte, brilliant waren, ebenso wie die dazu gehörigen, ausgeklügelten Rechenübungen.
Obwohl sein Vater am so genannten Gold-Projekt beteiligt war (mit dem Fritz Haber aus Meerwasser soviel Gold gewinnen wollte, daß das junge republikanische Deutschland seine Reparationsschulden hätte bezahlen können) wurde Walther Jaenicke 1941 in Anwendung der berüchtigten „Nürnberger Gesetze“ vom Studium ausgeschlossen. Dass die folgenden Jahre nicht verloren waren, verdankte er vor allem Karl-Friedrich Bonhoeffer, der ihm die Möglichkeit zum Weiterarbeiten, ja sogar zur Anfertigung einer Dissertation bot und sich dabei selbst in große Gefahr begab.
Das „latente“ Weiterstudium ermöglichte es Walther Jaenicke bereits 1946 mit der Messung von elektrochemischen Potentialen und Stromdichten an Lokalelementen zu promovieren. Er verbrachte dann Assistentenjahre in Jena und an der Humboldt-Universität in Berlin (Ost) und folgte 1950 seinem Leipziger Mentor Bonhoeffer, der Direktor am „Max-Planck-Institut für Physikalische Chemie“ in Göttingen geworden war. Von dort ging er 1952 an die Technische Hochschule Karlsruhe, zum Elektrochemiker Günther, einem ziemlich schwierigen Chef. Dort habilitierte er sich 1953 mit „Untersuchungen von Auflösungs- und Anlaufmechanismen von schwerlöslichen Salzen mit Hilfe von Potentialmessungen“; 1959 wurde er apl. Professor. 1963 übernahm er das Ordinariat für „Physikalische Chemie und Elektrochemie“ an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen, als Nachfolger von Erich Lange. Wenn Herr Günther in Karlsruhe schwierig war, so war es Herr Lange nicht minder, insbesondere weil er wenig Lust hatte, das Feld für einen Jüngeren zu räumen. Er machte daher Walther Jaenicke am Anfang das Leben sehr schwer, obwohl dieser sehr erfolgreich zum Nutzen des Lehrstuhls verhandelt hatte. So wurden die Personal- und Sachmittel verdoppelt und der überfällige Ausbau der alten Räume durchgeführt. Noch entscheidender für die Entwicklung aller chemischen Fächer aber war die Zusage, auf dem sogn. Südgelände einen Neubau zu errichten, der auch Platz für einen zweiten Lehrstuhl für Physikalische Chemie und einen Lehrstuhl für Theoretische Chemie bot. Typisch fuer die Geisteshaltung von Walther Jaenicke ist, dass er bei der Einweihung des neuen Hörsaalgebäudes im November 1972 nicht seine Verdienste um die Verwirklichung dieses Projektes herausstrich, sondern klagte: „was dem alten Kollegen viele Jahre verweigert wurde, erhielt der neu berufene.“ Mit dem Neubau war die Möglichkeit gegeben, die „72. Hauptversammlung der Deutschen Bunsengesellschaft für Physikalische Chemie“1973 in Erlangen auszurichten.
In Erlangen befaßte sich Walther Jaenicke sehr bald mit der Auflösungskinetik von Silbersalzen. Dies führte ihn über die Fixierung von photographischen Bildern auch zum Entwicklungsvorgang und zur detaillierten Struktur der fehlgeordneten Silberhalogenide. Der aus diesen Arbeiten erwachsene 120-Seiten Artikel „Electrochemical Aspects of the Photographic Process“ wurde ein Markstein auf diesem Gebiet (in: Advances in Electrochemistry and Electrochemical Engineering, Vol 10 (1977), Wiley). Mittlerweile hatte sich die Elektrochemie mit den modernen dynamischen Methoden (z.B. Druck- und Temperatursprung) neue und mächtige Werkzeuge geschaffen, die von Walther Jaenicke sofort und vielfältig genutzt wurden, z.B. zur Untersuchung des Mechanismus der Farbkupplung in der Farbphotographie, oder der Oxidation von Zink und Kupfer. Der Schlüssel zum Erfolg hierbei lag in der Separation kinetischer Teilschritte. Von den heterogenen Elektronen-Durchtrittsreaktionen führte der Weg zu den nachgelagerten Gleichgewichten und dann auf neue Klassen von homogenen Elektronen-Austauschreaktionen.
Mit dem Bezug des Neubaus an der Egerlandstrasse konnten NMR- und ESR-Spektrometer angeschafft werden, die kinetische und dynamische Experimente zum homogenen und heterogenen Elektronenaustausch ermöglichten. Zusammen mit G. Grampp führte Walther Jaenicke auch noch nach seiner Emeritierung am Ende des SS1988 die Experimente weiter, deren Ergebnisse sich im Rahmen der Marcus-Theorie erfolgreich interpretieren ließen.
In der Lehre galt Walther Jaenicke’s besondere Aufmerksamkeit den Grundvorlesungen, denn hier können die hervorragendsten Leistungen auf dem Gebiet der physikalischen Chemie komprimiert, aber in all ihrer Vielfalt, dargestellt werden. Andererseits erinnern sich aber auch viele Mitarbeiter gerne an stundenlange Diskussionen über Übungsaufgaben. Da es zu dieser Zeit kein modern konzipiertes Lehrbuch der Physikalischen Chemie in deutscher Sprache gab, übersetzte Prof. Jaenicke zusammen mit Prof. H. Göhr den „Moelwyn Hughes“. In seiner Originalität und seinem Anspruch war dieser ein Genuß zum Lesen – für den, der schon wußte um was es ging; weniger für die meisten Studenten.
In das internationale Rampenlicht trat der Jaenicke’sche Lehrstuhl 1983 durch die Organisation der Jahrestagung der International Society of Electrochemistry, zu der mehr als 600 Teilnehmer aus aller Welt nach Erlangen kamen. Bestandteil der Tagungsunterlagen war eine kleine Monographie „Erlangen and its University as Seen by a Chemist“. In dieser Schrift gibt Walter Jaenicke einen Überblick über die wechselvolle Geschichte der Universität und ihrer handelnden Personen. Sein Urteil ist, wie immer, das Ergebnis einer messerscharfen Analyse und entsprechend deutlich ausformuliert.
Sein Interesse fuer Geschichte und deren Aufarbeitung hat Walter Jaenicke veranlasst, für die Festschrift anlaesslich des 250. Geburtstags der FAU den Beitrag „Naturwissenschaften und Naturwissenschaftler in Erlangen 1743-1993“ zu schreiben. Ebenso übernahm er nach seiner Emeritierung 1988 das Archiv der Deutschen Bunsengesellschaft für Physikalische Chemie und brachte 1994 die Monographie „100 Jahre Bunsengesellschaft, 1894 – 1994“ heraus. In ihr ist nicht nur die Entwicklung dieser Gesellschaft in Zahlen und Fakten nachgezeichnet, sie enthält auch viel Interessantes über Menschliches und Allzumenschliches aus dem Kreise ihrer führenden Köpfe, sowie eine kritische Auseinandersetzung mit dem Verhalten der Gesellschaft während der braunen Diktatur. In Würdigung seines wissenschaftlichen Lebenswerkes und seiner Verdienste um die Bunsengesellschaft hat diese ihm 1997 die Bunsen-Denkmünze verliehen.
Seine Offenheit für vielschichtige Probleme führte fast zwangsläufig dazu, dass Walther Jaenicke neben seiner Lehr- und Forschungstätigkeit noch die verschiedensten Funktionen übernahm. So war er Fachgruppensprecher und 1970/71 Dekan der Naturwissenschaftlichen Fakultät, sowie Fakultätsvertreter im kleinen Senat. Als Mitglied des Gründungsausschusses war Walther Jaenicke maßgeblich an der erfolgreichen Einrichtung der Technischen Fakultät an der FAU beteiligt.
Walther Jaenicke initiierte auch einen Austausch von Wissenschaftlern und transnationale Kooperationen (z.B. mit dem „Institute of Photographic Chemistry“, Peking) lange bevor „Internationalität“ als Qualitätskriterium für Universitäten entdeckt wurde.
Dem Fachgebiet diente er als einer der Herausgeber der traditionsreichen „Zeitschrift für Physikalische Chemie“ und als Vorsitzender mehrer Kommissionen der Bunsengesellschaft. Er war Fellow der „Society of Imaging Science & Technology“ und 1978-80Vizepräsident der „International Society of Electrochemistry.“ Als Fachgutachter der Deutschen Forschungsgemeinschaft (1975-1983) bemühte er sich um eine gerechte Forschungsförderung, besonders auch für junge Wissenschaftler.
Walther Jaenicke nahm bis in das hohe Alter regen Anteil am Leben des Instituts und der gesamten Universität. Er verstarb am 13. Oktober 2010 nach einem wissenschaftlich erfolgreichen Leben, das ihm aber auch persönliche Schicksalsschläge nicht ersparte.